Ortsbeiräte sind wichtig – aber nicht für das Rathaus!

Vierer-Bündnis ignoriert Votum der Großauheimer

Wer am vergangenen Montag im Hanauer Stadtparlament die Argumentation für die künftige Bebauung auf einem demnächst bei der Firma ABB frei werdenden Areal in Großauheim hörte, konnte sich verwundert die Augen reiben. Zwischen der Durchgangsstraße Brown-Boveri-Straße, einer Bahntrasse und der stark befahrenen Depotstraße, direkt neben den industriell-gewerblich geprägten Betrieben ABB und RS Kunststoff Technik und in direkter Sicht- und Emissionsachse zum Kraftwerk Staudinger soll zukünftig ein neues idyllisches Wohngebiet entstehen.

Dieses Gelände wurde nach Gesprächen zwischen Oberbürgermeister Kaminsky, dem Wirtschaftdezernenten Piesold und der ABB-Firmenleitung flugs zum Wohngebiet auserkoren, obwohl es bisher in der Flächennutzungsplanung der Stadt Hanau und dem Regionalplan Südhessen als „Industrie- und Gewerbegebiet“ galt.

Es ist wirtschaftlich legitim, dass die für Hanau wichtige Firma ABB neue Verwendungszwecke für nicht mehr benötigte Flächen ihres Betriebsgrundstückes sucht. Es ist weiterhin notwendig, mit der Stadt über Möglichkeiten für dieses Areal zu diskutieren. Dass die Stadt Hanau der Firma ABB für die Flächen eine Wohn- und Einkaufsnutzung empfiehlt, ist schon überraschend. Gleichzeitig werden Bedenken des Ortsbeirates Großauheim zum Vorhaben und die mehrheitliche Ablehnung im Ortsteil durch das Vierer-Bündnis aus SPD, FDP, BfH und Grünen in Hanau komplett ignoriert. Am vergangenen Montag passierte die umstrittene Vorlage die Stadtverordnetenversammlung.

Auch wenn in der Vorhabenbeschreibung, die dem Stadtparlament vorlag, in blumigsten Worten für das neue Wohngebiet geworben wird, kollidieren die Pläne mit der künftigen gewerblichen Entwicklung der benachbarten Auheim-Kaserne. Es ergeben sich weitere kritische Fragen: Entsteht bei einem Verhältnis von 5 Einzelhäusern zu 98 kleinstteiligen Reihenhäusern – mit teilweise nur 100 m2 Grundstücksfläche – ein ausgewogenes Baugebiet? Wie sind die Vermarktungschancen, wenn in Luftlinie 500 Meter entfernt derzeit das größte Wohnprojekt in der Geschichte der Stadt Hanau auf den Flächen der New- und Old-Argonner-Kasernen anläuft? Wie sieht es mit Geruchs- und Lärmemissionen oder Altlasten im Boden aus?

Die CDU-Fraktion sieht die ABB-Fläche durch seine Lage als denkbar ungünstigen Wohnstandort. Das Nebeneinander von Wohngebiet und industriellem Gewerbegebiet ist mittelfristig höchst konfliktträchtig – zum Nachteil der anliegenden Unternehmen und deren Arbeitsplätze.
„An der Ausgewogenheit der überwiegend kleinstteiligen Wohnbebauung und deren Vermarktungschancen darf mit Recht gezweifelt werden. Negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Auheim-Kaserne - und damit auf Unternehmensansiedlung und neue Arbeitsplätze - sind abzusehen. Zusätzliche Einzelhandelsflächen – auch unter dem Mantel „nicht-zentrenrelevant“ – gefährden die Großauheimer Hauptstraße und das Gewerbegebiet Großauheim Süd“, fasst CDU-Stadtverordneter Christopher Göbel die Situation zusammen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dieter Hog empfindet die Aussagen des „obersten Wirtschaftsförderers“, Stadtrat Ralf-Rainer Piesold, als Geschichten aus Absurdistan, wenn er der CDU Wirtschaftsfeindlichkeit vorwirft. Die CDU-Fraktion betrachtet neue Wohnungsbebauungen im Gesamtbild der Stadt Hanau und nicht als solitäres Projekt. Das Argument von Stadtrat Piesold, die Verantwortung der Vermarktung liege letztendlich bei der Firma ABB, zeigt, wie leichtfertig hier auch mit Unternehmen umgegangen wird. Das Argument aus den Reihen der SPD-Fraktion, die Vorlage würde ja noch zweimal den Ortsbeirat und die Stadtverordnetenversammlung passieren und man könne dann immer noch die Sache absagen, zeigt, wie wenig Interesse von Seiten des Viererbündnisses an einer inhaltlichen Diskussion über nachhaltige Standort- und Wohnungspolitik in Hanau besteht.

Letztendlich ist es wohl auch keine schöne Aussicht für die in den Ortsteilen bereits bestehenden und 2011 neu zu gründenden Ortsbeiräte in der Hanauer Kernstadt, wie hier mit einem ablehnenden Ortsbeiratsbeschluss umgegangen wurde. Anstatt die Bedenken der Großauheimer ernst zu nehmen und vor einer Entscheidung intensiv zu erörtern, wurde der Beschluss mit Regierungsmehrheit durchgepeitscht. „Reden könne man immer noch“, hieß es aus den Reihen des Vierer-Bündnisses.

„Die inhaltlich sehr konstruktiven und fern von Parteipolitik geprägten Gespräche im Ortsbeirat werden damit zur Farce“, ärgert sich Dieter Hog. „Werden kritische Stimmen laut, wischt man diese einfach vom Tisch und fällt Entscheidungen über die Köpfe der Ortsbeiräte hinweg. Wie man so die Menschen in Hanau zu mehr bürgerlichem Engagement bewegen möchte, ist uns schleierhaft“, so Hog. Unter diesen Voraussetzungen werde das gesamte Projekt der Vierer-Koalition „Ortsbeiräte für die Innenstadt“ unglaubwürdig.

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